Seit vielen Jahren ist das Hörspiel „Das Weihnachtsgeheimnis“ von Jostein Gaarder fester Bestandteil meiner Vorweihnachtszeit. Vor einigen Jahren hatten wir die CD im Weihnachtsregal unserer Stadtbibliothek gefunden und ausgeliehen. Anfangs hörte ich nur Bruchstücke davon mit halbem Ohr, während ich im vorweihnachtlichen Aktionismus von hier nach dort lief. Klarinettenmusik kam aus dem CD-Player im Kinderzimmer, eine resolute Männerstimme rief immer wieder „Nach Bethlehem, nach Bethlehem!“ und irgendwann setzte ich mich dazu und lauschte. Sechs Stunden. So lange dauert dieses Hörspiel. Alles andere blieb liegen. Es war die reine Freude. Seitdem höre ich „Das Weihnachtsgeheimnis“ immer wieder im Advent und jedes Mal folge ich der Reise der Pilgerschar mit kindlicher Freude und mit einem erwachsenem Bedürfnis nach Innehalten und Ruhe. Jedes Mal entdecke ich neue Gedanken, Fragen und Antworten.
Irgendwo in Norwegen. In einer Buchhandlung (also dort, wo jede gute Geschichte beginnt) entdeckt Joachim einen ganz besonderen Adventskalender. Er ist handgemalt und selbst der Buchhändler scheint das außergewöhnliche Exemplar bislang noch gar nicht in seinem Regal bemerkt zu haben. Daheim öffnet Joachim jeden Tag ein Türchen und findet Zettel, die er vor seinen Eltern geheim hält und auf denen eine Pilgerreise beschrieben wird, die im Jahr 1948 in einem norwegischen Kaufhaus ihren Anfang nimmt:
Die kleine Elisabet Hansen entdeckt ein Glockenlamm, das vor dem Klingeln der Registrierkassen und der Menschenmenge flieht. Elisabet folgt dem Lamm, weil sie es unbedingt streicheln möchte, und läuft hinter ihm her aus der Stadt hinaus. Eigentlich sollte es längst dunkel geworden sein, doch stattdessen kommt die Sonne zurück und Elisabet beginnt zu begreifen, dass sie und das Lamm in der Zeit zurück fliegen. Jeden Tag schließen sich ihnen weitere Wesen an: große Engel, kleine Engel, Hirten, ein Weiser aus dem Morgenland und immer wieder Schafe.
Ziel der bunten Schar ist Bethlehem und sie laufen quer durch Europa in der Zeit zurück. Im Jahr Null werden sie an der Krippe stehen und Jesus huldigen. Bis dorthin werden sich noch der Kaiser Augustus, der Statthalter Quirinius und die zwei anderen Weisen zu der Gruppe gesellen.
Joachim verfolgt das Geschehen von Tag zu Tag atemlos und stellt fest, dass sich der Adventskalender verändert. Figuren, die zuvor noch nicht da waren, erscheinen plötzlich in dem bunten Panorama. Was hat der Blumenhändler Johannes mit dem ganzen Geschehen zu tun? Was bedeutet das Wort „Tebasile“? Und ist das Mädchen Elisabet aus der Adventskalender identisch mit dem Kind, das tatsächlich vor vielen Jahrzehnten aus einem Kaufhaus verschwunden ist?
Als die Eltern die Zettel aus dem Kalender entdecken, die Joachim gut versteckt hatte, ist dieser zunächst zornig, doch schon bald versucht die Familie gemeinsam, das „Weihnachtsgeheimnis“ mit detektivischem Eifer zu ergründen.
Jostein Gaarder erzählt eine Zeitreise, die durch die Geschichte des Christentums und durch Europa führt. Das „Weihnachtsgeheimnis“ ist Adventskalender, Detektivroman, ein philosophisches Abenteuer, eine adventliche Meditation für kleine und große Menschen.
Mittlerweile gibt es Geschichten zu der Geschichte: Das „Weihnachtsgeheimnis“ ist für uns zum Ritual geworden und irgendwann haben wir uns sogar auf den Weg nach Paderborn gemacht, um den kleinen Engel Umuriel auf dem Dach der Bartholomäuskapelle zu suchen. (Er war nicht da. Vielleicht haben wir ihn aber auch gerade verpasst.) Im letzten Jahr war die CD-Box verschwunden und ich habe sie überall gesucht. Zu meinem großen Glück ist die Box in diesem Jahr wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht. In diesem Advent hat dieses Hörspiel für mich besondere Bedeutung, weil es mich noch einmal neu über den Sinn von Weihnachten nachdenken lässt.
Was zählt 2020 an Weihnachten wirklich?
Was brauchen wir eigentlich wirklich?
Was ist am Ende dieses Jahres wichtig?
Dieses Hörspiel ist für mich ein Fest und neuer Anlass, um über all diese Fragen nachzudenken. Herzliche Hör-Einladung an alle und ein besonderer Gruß an Karin, die hier manchmal vorbeischaut.
Dixi.
Jostein Gaarder: Das Weihnachtsgeheimnis
Hörspielbearbeitung und Regie: Hermann Naber
Der Hörverlag 2009
ISBN 978-3 86717-481-7