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Weiter zurück in der Zeit

Und weiter zurück in Huldas Geschichte. Ich habe auch diesen zweiten Band der isländische Krimi-Trilogie, die gerade die Besteller-Liste erobert, mit ungebrochener Freude gelesen und konnte ihn kaum aus der Hand legen. Ende der Achtzigerjahre kommt ein junges Mädchen im Ferienhaus ihrer Familie ums Leben. Wer hat den Mord hoch oben in den Westfjorden begangen? Ein Verdächtiger ist schnell gefunden und wird verhaftet. Zehn Jahre später treffen die Freunde der Toten auf einer einsamen Insel zusammen. Diese Begegnung endet mit einem zweiten Mord. Kommissarin Hulda nimmt die Spur auf.

Hulda hat einige Jahre zuvor ihre Tochter und ihren Mann verloren. Ihr Leben ist zerbrochen, doch Hulda akzeptiert nicht, dieses Leben aufzugeben. So zäh und ausdauernd, wie sie trotz Verlust und Verzweiflung durch jeden Tag geht und plagende Schuldgefühle aushält, so unnachgiebig ermittelt Hulda. Ihr Scheitern und Kämpfen macht sie zu einer zutiefst menschlichen, weil unheroischen Kommissarin, die beständig von Männerbünden bei der Polizei ausgebremst wird und sich dennoch nicht einschüchtern lässt. Ein bereits im ersten Band aufgenommener Handlungsstrang wird hier weitergeführt: Huldas Identität als Kind eines US-Soldaten, das nach der Geburt gegen den Willen seiner Mutter in einem Heim untergebracht worden ist und nicht weiß, wer sein Vater ist. Nun, nachdem Hulda ihre Familie auf tragische Weise verloren hat, versucht sie diesen Vater zu finden und so ein Stück wieder Fuß in einem Leben zu fassen, in dem sie keine Wurzeln mehr hat. Hulda wird es am Ende weder im Hinblick auf den Mord in den Westfjorden noch in ihrer persönlichen Lebensgeschichte gelingen, alle Geheimnisse zu lösen. Diese Allwissenheit behält der Autor einzig seinem Leser vor.  

Jónassons Trilogie geht im zweiten Band so außergewöhnlich weiter, wie sie begonnen hat. Die Erwartung, dass am Ende einer Kriminalgeschichte alle Fäden zusammengeführt werden, erfüllt Jónasson konsequent nicht. Er legt dem Leser Puzzleteile vor, die sich nach und nach zu einem Ganzen fügen. Nur der Leser ist in der Lage, Tragik zu ermessen, die den Figuren verborgen bleibt. Geheimnisse werden mit ins Grab genommen. Fragen werden nicht beantwortet, Täter kommen davon. 

Vorhang zu und viele Fragen offen. Das Leben ist nicht gerecht.

Ragnar Jónasson: Insel
Aus dem Englischen von Kristian Lutze
btb Verlag 2020
ISBN 978-3-641-25170-3

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  • Beitrag veröffentlicht:17. August 2020
  • Beitrags-Kategorie:Island / Spannung

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