Am Silvestertag war ich mit dem Jahr 2020 endgültig fertig. 2020 hatte auf den letzten Metern noch einmal alles gegeben, um mir das Leben schwer zu machen. Von der Pandemie einmal ganz abgesehen. Und so nahm ich mir vor, den letzten Tag des Jahres mit Lesen, Trinken, Essen und Schlafen zu verbringen. Tatsächlich trat dank dieser Reihenfolge am Ende dieses unsäglichen Jahres doch noch Sorglosigkeit auf den Plan. Susan Hill, einem gutem Rotwein und unserem in die Jahre gekommenen Raclette-Grill sei dank.
Ich hatte mich schon lange auf „Das Gemälde“ von Susan Hill aus der Gatsby-Reihe des Kampa Verlags gefreut und ihn wie eine Pralinenschachtel für diesen besonderen Moment aufgehoben. Nach den ersten Seiten trat schon bald die Entspannung ein, auf die ich so lange gewartet hatte.
Eine eisige Nacht im Januar: In der ehrwürdigen Universität von Cambridge erzählt Professor Parmitter seinem einstigen Studenten Oliver eine unglaubliche Geschichte am Kamin. Der leidenschaftliche Kunstsammler Parmitter hat vor vielen Jahren ein Gemälde erstanden, das eine Szenerie aus dem alten Venedig zeigt und ein gespenstisches Eigenleben führt. Klassische Kulissen für beste Schauer-Unterhaltung, eine wohlkomponierte Story – very british. Wie bei einer Matrjoschka-Puppe entsteigt eine Geschichte der anderen und führt mich als Leser in eine verschneite englische Universität, auf einen geheimnisvollen Landsitz und in die Lagunenstadt, wo Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Eine Schauer-Idylle und deshalb ein Buch, mit dem man sich rundum wohlfühlen kann. Nicht mehr, aber auf gar keinen Fall weniger. Für gut 200 Seiten hatte der Alltag Pause.
Susan Hill: Das Gemälde
Eine Gespenstergeschichte.
Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle.
Kampa Verlag 2020
ISBN 978-3-311-27005-8