Arthur Alter lädt seine Kinder Maggie und Ethan für ein Wochenende ins Elternhaus nach St. Louis ein. Zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau Francine herrscht Schweigen zwischen dem Vater und seinen erwachsenen Kindern, die ihm nicht verzeihen, dass er noch zu Lebzeiten ihrer Mutter eine Affäre mit einer wesentlich jüngeren Frau begonnen hat. Nun ist Arthur, der seit Jahren vergeblich auf eine Festanstellung als Hochschuldozent wartet, finanziell am Ende und er hofft, dass Maggie und Ethan ihm das Geld überlassen, das sie von ihrer Mutter geerbt haben, damit er das Haus der Familie halten kann – als Heim für sich und die neue Frau an seiner Seite.
Arthur wäre für sein Leben gern ein guter Mensch und scheitert immer wieder daran. Als junger Mann endete sein Versuch, in Zimbabwe ein Entwicklungsprojekt umzusetzen, in einer Katastrophe. Arthurs notorischer Geiz steht menschlicher Größe regelmäßig im Weg. Seine Kinder sind ihm fremd geworden und die Versuche, Maggie und Ethan für sich zu gewinnen, sind so ungeschickt wie vergeblich.
Dabei ist Maggie als zwanghafter Gutmensch ihrem Vater ähnlicher als sie wahrhaben will. Ethan, dem es nicht gelingt, seine Homosexualität frei und glücklich zu leben, hat sich in der Einsamkeit seines Großstadt-Apartments eingerichtet. Am Ende dieses Wochenendes in St. Louis gehen viele Fassaden, eine Nase und alle Lebenspläne zur Bruch. Doch das Ende des Wochenendes ist nicht das Ende dieser Familiengeschichte.
Die Alters sind „Die Altruisten“ – oder besser gesagt, sie wären es gern. Andrew Ridker enttarnt sie mit messerscharfem Humor, der mir das Buch zum Vergnügen gemacht hat:
„So wie Arthur es sah, hing der Erfolg beim Besuch seiner Kinder von der Formel (M+N)(1/2E) + S = G, wobei M = Mitleid, N = Nostalgie, E = Entschuldigung, S = Schuldgefühle und G = Geld für die Hypothek war. Das versuchte er im Hinterkopf zu behalten. Er begann mit N. Er suchte nach Plüschtieren, Schmusedecken, heiß geliebten Kinderbüchern und anderen Gefühlsauslösern, die er wie Landminen im ganzen Haus verteilte. Als letzte Mitleidsmasche trug Arthur die ganzen Briefe von seiner Bank zusammen und legte die erste Zahlungsaufforderung auf die Küchentheke, die zweite auf das mehrstufige Regal zwischen dem Esszimmer und der Diele und die dritte an den Fuß der Treppe. Wenn seine Kinder das Haus durch die Seitentür betraten, wie die Alters es immer taten, würde ihnen der Weg zu ihren Zimmern im ersten Stock eine Geschichte erzählen.“
Die Geschichte ist voller pointierter Szenen, vielschichtiger Figuren und Komik, die mich an Woody-Allen-Filme erinnert. Und zugleich ist sie tragisch, denn sie zeigt, wie konsequent eigene Ziele scheitern, wenn sie maßgeblich dadurch motiviert sind, sich von seinen Eltern abzugrenzen. Damit erzählt Ridker einen Generationenkonflikt und belässt es nicht bei der Enttarnung, sondern stellt ans Ende der Geschichte einen hoffnungsvollen Entwurf – Alter heißt ins Deutsche übersetzt „ändern“. Der Familienname wird zum Programm.
Ich denke noch immer über die Alters nach, die guten Menschen von St. Louis, über die es sich leicht lachen lässt, mit denen Ridker aber dem Leser und damit auch mir einen Spiegel vorhält: Wie wichtig ist es, das „richtige“ Leben zu führen? Ist es nicht viel wichtiger, einfach zu leben? Wo sind die Grenzen zwischen dem einen und dem anderen? Ein besonderer Dank geht in diesem Zusammenhang an das Flussdiagramm, das Francine an den Kühlschrank der Alters geheftet hat:
Andrew Ridker: Die Altruisten
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Penguin Verlag 2019
ISBN 978-3-328-60024-4