Adam Snow handelt mit kostbaren antiquarischen Büchern. Auf dem Rückweg von einem guten Kunden verfährt er sich eines Abends und landet vor einem verlassenen alten Haus. Adam betritt den verwilderten Garten und hier beginnt die die Geschichte der „Kleinen Hand“:
„Und dann, als ich in der sich ausbreitenden Stille der einbrechenden Frühlingsdämmerung stand, geschah etwas. Mir ist es ziemlich gleichgültig, ob man mir glaubt oder nicht. Das spielt keine Rolle. Ich weiß es. Das ist was zählt. Ich weiß es, genauso wie ich weiß, dass es am Morgen zuvor auf das Fensterbrett meines Schlafzimmers geregnet hat, da ich vergessen hatte, das Fenster zu schließen.“
Eine kleine unsichtbare Hand schiebt sich in Adams rechte Hand und wird ihn fortan immer wieder heimsuchen. Adam kann sich die Anziehungskraft, die das alte Haus und der verlassene Garten auf ihn ausüben, nicht erklären. Panikattacken suchen ihn heim und die kleine Hand verfolgt ihn und versucht immer wieder Macht über ihn zu erlangen.
Susan Hills „Die kleine Hand“ ist in der Reihe „Gatsby Geisterhand“ im Kampa Verlag erschienen und trägt wie alle Bände den Untertitel „Eine Gespenstergeschichte“. Schauergeschichten machen mich neugierig und faszinieren mich, aber nicht jede hält, was sie verspricht. Diese hier tut es auf klassische und elegante englische Art: Ein verlassenes Landhaus. Ein Antiquar und seine Suche nach bibliophilen Schätzen. Adam bringt mehr und mehr über das Haus in Erfahrung, das einst der Gartengestalterin Denisa Parsons gehörte, und Andeutungen weisen darauf hin, dass das Anwesen ein Geheimnis birgt. Welche Parallelen gibt es zwischen Adam und seinem Bruder Hugo, der ebenfalls vor vielen Jahren von Angstzuständen befallen war? Parallel zum Geschehen um die kleine Hand wird Adams Suche nach einem First Folio von Shakespeare erzählt, einem Band aus der ersten Gesamtausgabe, die Adam bis in ein entlegenes Kloster in Frankreich führt. Diesen Teil der Erzählung habe ich als ein wichtiges kompositorisches Element gelesen, denn auch in den Bergen des Vercors greift die kleine Hand nach Adam – und die Klosterbrüder nehmen seine Wahrnehmung ernst. Nun lässt sich die übersinnliche Wahrnehmung nicht mehr einfach als bloßes Hirngespinst einordnen. Die Spannung wächst. Ist hier tatsächlich ein Geist am Werk? Oder macht eine psychiatrisches Problematik Adam und seinem Bruder das Leben schwer?
„Die kleine Hand“ hat mich gefesselt und vom Schlaf abgehalten – ein Phänomen in diesen Wochen und Monaten. Der Alltag in den Zeiten von Corona ermüdet und ich lösche oft schon weit vor Mitternacht das Licht. Hier konnte ich es nicht und eilte von Seite zu Seite. Ich habe dieses Buch als eine ausgesprochen angenehme Abwechslung zu Thrillern und Krimis gelesen. Spannung wird hier auf doppeltem Boden erzeugt, denn mein aufgeklärter Glaube an reale Erklärungen wird erschüttert. Schauer verstört in einer anderen Dimension und ich spiele dieses Spiel immer gern mit. Ich glaube nicht an Übersinnliches, dies sei klargestellt, aber ich lasse mich gern herausfordern. Und wenn es der Geschichte gelingt, dass ich Geräuschen im nächtlichen Haus irritiert lausche, hat die Geschichte gewonnen. 1:0 für Susan Hill. Ein Buch für lange Wochenenden und kurze Nächte und eine klare Leseempfehlung!
Susan Hill: Die kleine Hand.
Eine Gespenstergeschichte.
Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle.
Kampa Verlag 2019
ISBN 978-3-311-27001-0