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Kalt erwischt

Im letzten Herbst war ich an einem frühen Samstagmorgen auf der Autobahn unterwegs von A nach B. Die Sonne war aufgegangen, vor mir lagen noch gut fünfzig Kilometer und auf der A1 war in der Baustelle noch kein zähfließender Verkehr. Ich tat mir trotzdem ziemlich leid. Irgendwann stoppte ich den Sendersuchlauf und blieb auf NDR Kultur hängen. Ein Moderator kündigte eine Lesung an. Heinrich Böll: „Wanderer, kommst du nach Spa…“, gelesen von Helmut Zierl. Ich erinnerte mich daran, dass es schon viele Jahre her war, seit ich zum letzten Mal etwas von Heinrich Böll gelesen hatte. Irgendwo in meinem Regal standen einige seiner Romane. Im Deutschunterricht hatte unserer Lehrerin immer wieder Kurzgeschichten von Böll und Wolfgang Borchert vorgelesen. Doch „Wanderer, kommst Du nach Spa…“ fehlte mir und so blieb ich auf dieser Frequenz, weil mir gerade nichts Besseres einfiel. Ich hatte eigentlich auf Zerstreuung gehofft und muss zum zigsten Mal bereut haben, dass in meinem alten Auto kein CD-Player installiert ist. 

Dann hörte ich zu. 
An meinem Ziel blieb ich lange still im Auto sitzen.
Ich hatte längst aufgehört, mir leid zu tun.

Diese Lesung von „Wanderer, kommst Du nach Spa…“, gehört irgendwo auf einer Autobahn, ist zu einem der intensivsten Literaturerlebnisse in meinem Leben geworden. Ohne Erwartung und Vorahnung bin ich in diese Geschichte gefallen und im Geist neben der Bahre des jungen, schwerstverwundeten Soldaten gegangen, der dem Leben ferner ist als dem Tod und am Ende feststellt, dass er in seine Schule gebracht worden ist, die er erst vor drei Monaten verlassen hatte und die nun zum Lazarett umgebaut ist.

Die Kurzgeschichte hat mich mit voller Wucht getroffen. Jetzt, ein Jahr später habe ich sie noch einmal gelesen und die Wirkung ist die gleiche. Kalt erwischt. Auf wenigen Seiten kommt die Sinnlosigkeit und unbarmherzige Grausamkeit des Krieges am Beispiel dieses Jungen auf den Punkt. Das Ende ist erbarmungslos und erschütternd. 

Wie hatte es dazu kommen können, dass Heinrich Böll irgendwann aus meinem Blickfeld geraten ist, zu einem Autor geworden ist, der irgendwo in meinem Regal steht? 

Lest diese Geschichte, verschenkt sie, lest sie vor, hört sie an und lest sie noch einmal. Sie sollte Pflichtlektüre an allen Schulen sein, sie ist wichtig und von trauriger Universalität. 

Heinrich Böll: Wanderer, kommst du nach Spa
Erzählungen
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
ISBN 978-3-423-00437-4

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